Die dürre Bertha
Hans Werner Sinn hat Ende März ein neues ausführliches Target 2 Papier* verfasst, das seine Thesen zusammenfasst und auf einige neue Aspekte eingeht – ein Kommentar.
Mehrere deutsche Ökonomen kritisieren die Target Salden innerhalb des ESZB, die sie als „Target Kredite“ bezeichnen. Beginnen will ich mit Hans Werner Sinns Kernaussage:
“Target Kredite bedeuten wie öffentliche Rettungsschirme, dass das deutsche Sparkapital mit dem Geleitschutz der Staatengemeinschaft, faktisch vor allem mit dem Geleitschutz des deutschen Steuerzahlers, wieder aus Deutschland ins Ausland gelockt wird, damit es dort statt hier Arbeitsplätze schafft.”
Jörg Krämer kommt zu einer ähnlich negativen Einschätzung:
“Sie (die EZB) finanziert mittlerweile die Leistungsbilanzdefizite der hochverschuldeten Peripherieländer und bürdet damit den Kernländern der Währungsunion hohe Risiken auf.”**
Beides ist wenigstens in Teilen richtig, aber es ist nur ein Ausschnitt der Lage, der bei alleiniger Betrachtung falsche politische Schlüsse nahelegt.
Tatsächlich gibt es in Italien und den anderen GIIPS der Eurozone schon lange Zeit Leistungsbilanzdefizite. Diese Leistungsbilanzdefizite sinken aber in letzter Zeit leicht (vergleiche hierzu diesen sehr nützlichen Beitrag von Bornhorst und Mody ebenso wie Sinns eigene Abbildung 9 – bei der man allerdings die Steigung der Kurve der kumulierten Leistungsbilanzdefizite betrachten muss).
Was sich verändert hat, ist das Verhalten der Investoren. Deutsche Investoren sind weniger bereit, in den GIIPS Ländern zu investieren und die Investoren dieser Länder legen ihr Geld u.a. in Deutschland an.
Wir sehen uns also einer Kapitalflucht und einem Ausstieg ausländischer Investoren gegenüber, der dadurch begrenzt wird, dass die Gemeinschaft der Eurozonenländer die Erneuerung von Krediten an die Banken der GIIPS Länder nun über die EZB verbürgt.
Wie das zu bewerten ist können wir erst verstehen, wenn wir uns die Alternative vor Augen führen. Wenn die EZB der Kapitalflucht untätig zugesehen hätte, hätte es zum spontanen Ausverkauf südeuropäischer Anleihen kommen können, weil den Banken gezwungen gewesen wären, die Aktivseite ihrer Bilanzen rasch zu verkürzen.
Eine Kreditklemme oder sogar die Liquidation von Banken in Südeuropa wäre möglich gewesen. Im Zuge einer solchen Krise hätten deutsche Anleger einen großen Teil ihres dort eingesetzten Kapitals und deutsche Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren können.
Wenn wir die Liquiditätsbereitstellung der EZB – deren Folge die Target Salden sind – im Vergleich zu diesem Szenario bewerten, dann liegt eine andere Interpretation nahe, als die meines Kollegen Sinn.
Target Salden entstehen, weil deutsches Kapital durch den Geleitschutz der Staatengemeinschaft vor Verlusten durch einen Ausverkauf von Wertpapieren durch Banken in den GIIPS Ländern geschützt wird.
Die damit verbundenen Risiken sollen vertragsgemäß von allen Staaten der Eurozone als Anteilseigner der EZB getragen werden. Allerdings ist das bei einigen dieser Staaten nicht glaubwürdig weil ein insolventes Land nichts zu einer Kapitalerhöhung der EZB beitragen könnte.
Dieses Vorgehen der EZB bürdet den Steuerzahlern in großen Teilen der Eurozone ein Risiko auf. Wegen des Inflationsrisikos im Fall eines Scheiterns der Reformbemühungen in Italien und Spanien gibt es auch ein Risiko für Anleger in nicht-indizierten Anleihen. Zugleich sinkt der Anpassungsdruck auf die Leistungsbilanzen der GIIPS Länder.
Wir müssen in Alternativen denken, wenn wir Politik bewerten. Die heile Welt ist selten als Alternative verfügbar. Das gilt auch für die Politik der EZB. Die Alternative einer dürren Bertha, d.h. einer spärlichen Liquiditätsversorgung bei den LTROs, hätte für Europa – auch für Deutschland – verheerend enden können.
Die Politik der großzügigen LTROs und die Ausweitung der zugelassenen Sicherheiten haben sicherlich nicht das Ziel, Arbeitsplätze von Nord nach Süd zu verlagern. Sie geben der italienischen und der spanischen Regierung Zeit, den Konsolidierungskurs fortzusetzen ohne eine Rezession auszulösen. Durch die Vermeidung einer tieferen Krise werden Arbeitsplätze in Deutschland zunächst gesichert.
Dabei will ich nicht die möglichen Nebenwirkungen kleinreden, die auf der Hand liegen. Die Anpassung der Faktorpreise in Südeuropa wird möglicherweise erschwert und eine Fehlallokation von Ressourcen wird insbesondere durch die wenig überzeugende Nationalisierung der Besicherungsstandards begünstigt.
Die LTROs und die Nationalisierung der Besicherungspolitik beinhalten für Deutschland wie für andere Länder der Eurozone Risiken, die zu den staatlichen Rettungspaketen hinzukommen. Es wird also ein Risiko – das des Bankrotts italienischer Banken – durch ein anderes – das einer dauerhaften Reformverweigerung in Italien und Spanien – ersetzt.
Nur liebe Kollegen: was genau wäre – abgesehen von höheren Zinsen – die Alternative?
—–
* Hans Werner Sinn „Die Target Kredite der deutschen Bundesbank“, Ifo Schnelldienst.
** FAZ vom 26.3.2012. Ich finde die Bezeichnungen Kern und Peripherie hier übrigens nicht wirklich passend. Deutschland und Holland grenzen an die Nordsee, und Finnland grenzt an die Halbinsel Kola, was diese Länder zu Peripherieländern der Eurozone macht. Andorra, Luxemburg und der Vatikanstaat sind dann die Kernländer der Eurozone.
Ein Kommentar von Hans Peter Grüner 18. April 2012, 15:10 Uhr
Hans-Werner Sinn's Statement zu Grüner's Kommentar:
"Hans-Werner Sinn sagt:
April 20, 2012 um 8:52 am
Lieber Herr Grüner,
keine grundsätzlichen Einwände, nur ein Kommunikationsproblem. Wieso weisen Sie umkleidet in die Aussage, das sei eine andere Meinung als meine und die von Jörg Krämer, darauf hin, dass die Leistungsbilanzdefizite auch schon vor der Krise groß waren.(„ Tatsächlich gibt es in Italien und den anderen GIIPS der Eurozone schon lange Zeit Leistungsbilanzdefizite.“) Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte gesagt, dass diese Defizite durch die Target-Kredite entstanden seien? Das wäre sicherlich falsch, denn meine Grundthese ist doch, dass der billige Kredit der Vorkrisenzeit Blasen bildete und die Leistungsbilanzdefizite geschaffen hat. Dazu habe ich mir die Finger wund geschrieben. Nur versagte sich in der Krise das private Kapital, und deshalb mussten die Defizite mit der Notenpresse weiterfinanziert werden. Das kann man nun wirklich nicht missverstehen. Und wieso ist Krämer falsch, wenn er sagt, dass die Target-Salden die Leistungsbilanzdefizite finanzieren? Sie sagen doch genau dasselbe! Ich stehe jetzt wirklich „auf dem Schlauch“. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Das versiegende Kapital zu ersetzen ist doch genau dasselbe wie das Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren! Der Unterschied liegt nur im Semantischen, nicht im Faktischen, denn wir reden über eine Budgetbeschränkung. Das Leistungsbilanzdefizit muss mit Kapitalimporten oder Target-Krediten finanziert werden. Wenn die Kapitalimporte runter gehen, müssen die Target-Kredite raufgehen, oder das Leistungsbilanzdefizit geht auch runter. Mehr Möglichkeiten gibt es nicht.
Zu Ihrer Frage, was die Alternative wäre: Wenn es schwieriger wäre, an den EZB-Kredit heranzukommen, wären die Zinsen im Süden höher, und die notwendige reale Abwertung, die wir bislang in den Daten über den BIP-Deflator vergeblich suchen, fände wenigstens ein bisschen statt. Meinen Sie wirklich, die Eurozone kann bestehen bleiben, wenn wir beliebige Kreditbeträge zu einem einheitlichen Zins, der die Risiken nicht abdeckt, durch das EZB-System schleusen. Wir bekämpfen doch keine akute Krise, sondern ein Dauerproblem. Die EBZ finanziert die Leistungsbilanzdefizite nun schon teilweise im fünften Jahr. Wie lange wollen sie den öffentlichen Kreditfluss noch an die Stelle des privaten setzen. Der Übergang zur Zentralverwaltungswirtschaft kann auch schleichend passieren.
Mit freundlichem Gruß
Ihr Hans-Werner Sinn"
Die Bilanz der Vermögensübertragungen
Eine Antwort auf Hans Werner Sinn's Kommentar zu meinem Beitrag „Die Dürre Bertha“.
"Lieber Herr Sinn,
Ich möchte die Wahl, vor der wir stehen, noch einmal mit Blick auf alle drei Hauptkomponenten der Zahlungsbilanz (Leistungsbilanz, Bilanz der Vermögensübertragungen, Kapitalverkehrsbilanz) beschreiben.
Neben der Leistungsbilanz und der Kapitalverkehrsbilanz gibt es die Bilanz der Vermögensübertragungen. Erst die Salden dieser drei Bilanzen und der Betrag, der den statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen zugewiesen wird, addieren sich zu Null. In normalen Zeiten spielt die Bilanz der Vermögensübertragungen praktisch keine Rolle. Im vorliegenden Fall sehe ich das anders.
Wenn sich das private Kapital aus den GIIPS Ländern zurückzieht, und wenn die EZB nicht einspringt, dann passen sich die Handels- und Dienstleistungsströme nicht zwingend genau so an, dass die Kapitalströme ausgeglichen werden. Stattdessen kann es zu einem teilweisen Schuldenerlass kommen. Der wird dann nicht in der Leistungsbilanz, sondern in der Bilanz der Vermögensübertragungen erfasst.
Stellen wir uns einmal vor, die EZB hätte im Herbst 2011 nicht eingegriffen. Europa kam beim EFSF nicht voran. Was wäre dann angesichts der Kapitalflucht aus den GIIPS Ländern mit den Leistungsbilanzen in Europa passiert? Vermutlich wären die GIIPS-Importe von Waren und Dienstleistungen zurückgegangen. Aber auch die Exporte nach Deutschland hätten zurückgehen können, wenn dort die Nachfrage eingebrochen wäre.
Einer Verringerung der privaten Forderungen an die GIIPS Länder kann auch ein Forderungsverzicht gegenüberstehen, der dann in der Bilanz der Vermögensübertragungen ausgewiesen wird. Das Risiko des Forderungsverzichts gehen wir ein, wenn wir den Kreditfluss über die EZB nun massiv erschweren. Herr Krämer hat Recht, dass die EZB Politik mit Risiken verbunden ist. Es ist aber nur ein Teil der Story. Worauf ich hinweisen will, sind unsere Risiken, wenn die EZB nichts tut.
Ich verstehe Sie so, dass es das Ziel der Politik der EZB sei, Arbeitsplätze aus Deutschland in die GIIPS Länder zu verlagern. Ich halte eine solche Arbeitsplatzverlagerung nicht für das wahrscheinliche Ergebnis der EZB Maßnahmen. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die Kreditvergabe der EZB trotz all ihrer Nebenwirkungen Arbeitsplätze in ganz Europa bewahrt hat und weiter bewahren wird.
Diese Währungsunion hat ein gemeinsames Problem: die beachtliche Verschuldung Italiens bei gleichzeitig hoher durchschnittlicher Verschuldung der gesamten Eurozone. Als Italien aufgenommen wurde war Helmut Kohl noch Bundeskanzler, als die Standards verwässert wurden Gerhard Schröder.
Das Problem lässt sich durch nachträgliches Vertrauen auf Marktzinsen nicht mehr ohne erhebliche Risiken lösen, weil die italienische Lage zu kippelig ist. Risiken gibt es dann auch für die Preisstabilität.
Die besten Grüsse, Ihr Hans Peter Grüner"
Hans-Werner Sinn antwortet Hans Peter Grüner
Im folgenden eine Antwort von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn auf den Blogpost, den Hans Peter Grüner am 23. April zum Zusammenhang zwischen der Leistungsbilanz und den Target-Salden geschrieben hat:
"Lieber Herr Grüner,
vielen Dank für Ihre Antwort vom 23. April 2012. Lassen Sie mich nochmals rekapitulieren. Sie haben als Kritik an meiner Position angeführt, die Target-Salden hätten die Leistungsbilanzdefizite nicht finanzieren können, weil diese Defizite ja auch schon vor der Krise und vor dem Herausbilden der Salden vorhanden gewesen seien. Daraufhin habe ich gesagt, dass ich die Ausweitung der Leistungsbilanzdefizite auch nicht behauptet hatte, sondern nur die Finanzierung dieser Defizite mit Target-Krediten. Ein Leistungsbilanzdefizit im Euroraum müsse nun mal durch Target-Kredite oder durch (normale) Kapitalimporte finanziert werden. Sie erwiderten in Ihrem letzten Brief, dass Leistungsbilanzdefizite auch durch Vermögensübertragungen, wie sie durch Konkurse stattfinden, bezahlt werden können.
Was Sie sagen ist zwar richtig: Ein griechischer Konkurs führt zu einem Forderungsverzicht der Ausländer, der für sich genommen eine Verminderung des griechischen Kapitalimports bedeutet und insofern neben dem normalen Kapitalimport und den Target-Krediten eine weitere Finanzierungsquelle für das Leistungsbilanzdefizit hätte sein können.
Indes fand in den vier Krisenjahren 2008-2011, auf die sich meine Aussage bezog, kein solcher Forderungsverzicht statt. Insofern bleibt die Aussage richtig, dass in diesen Jahren Griechenland praktisch keinen normalen Kapitalimport hatte und sein gesamtes Leistungsbilanzdefizit mit Target-Krediten finanziert hat, also mit Refinanzierungskrediten, die über die Versorgung der griechischen Wirtschaft mit Transaktionsmitteln hinausgingen. Und selbst wenn es einen Konkurs gegeben hätte, wäre die Aussage, dass praktisch das gesamte Leistungsbilanzdefizit mit Target-Krediten finanziert wurde, immer noch richtig gewesen.
Ob ein Konkurs in dieser Zeit ohne Hilfen der EZB stattgefunden hätte, was ich, wie Sie, vermute, spielt für meine Aussage ebenfalls keine Rolle. Auch nicht, wie und ob die Leistungsbilanz auf die Target-Kredite reagierte. Meine Aussage war, dass der normale Kapitalimport, mit dem die Leistungsbilanzdefizite vorher finanziert wurde, versiegte und durch Target-Kredite ersetzt wurde. Bitte lesen Sie noch einmal das Working Paper mit Timo Wollmershäuser (ifo-Fassung). Daran gibt es nichts zu rütteln.
Sie bringen nun einen weiteren Aspekt in Ihrem Brief, indem Sie sich zur Bewertung der EZB-Politik äußern. Man kann zweierlei Position dazu einnehmen, eine keynesianische und eine allokative, bzw. eine kurzfristige und ein langfristige. Beide Sichtweisen werden ausführlich in der Langfassung des genannten Working-Papers diskutiert.
Timo Wollmershäuser und ich vertreten dort auch Ihre Auffassung, dass die EZB-Politik in der Lehman-Krise nützlich war und Arbeitsplätze gerettet hat. Es gibt keinen Dissens bezüglich der Nützlichkeit der Politik in der akuten Krise.
Meinungsunterschiede kann es nur bezüglich der langen Frist geben, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie das wirklich anders sehen. Eine Lockerung der Budgetbeschränkungen, die kurzfristig richtig sein kann, ist langfristig meistens schädlich.
Wir befinden uns heute im fünften Jahr der Krise und im fünften Jahr der Totalfinanzierung von Griechenland. Griechenland hat bislang in Form von Target-Krediten, intergouvernementalen Krediten und des Schuldenerlasses vom Frühjahr ziemlich genau 500 Mrd. Euro erhalten, was anteilig auf das BIP umgerechnet 125 Marshall-Plänen entspricht. Der Verdacht, dass hier schon mehr Hilfen geflossen sind, als zur Bekämpfung einer kurzfristigen Panik der Märkte nötig war, liegt auf der Hand.
Bezüglich der langfristigen Wirkungen der EZB-Politik, hier insbesondere der Absenkung der Sicherheitsstandards der Refinanzierungskredite, die zu den Target-Krediten führte, sollte man auf die Zinsen schauen. Für sich genommen verringert die EZB-Politik die Kreditknappheit im Süden und verringert damit indirekt auch die für Deutschland günstige Spreizung der langfristigen Zinsen, die durch das Misstrauen der Märkte verursacht wurde. Auch führt die EZB-Politik unmittelbar zu mehr Nachfrage im Süden und damit zur Erhöhung der dortigen Inflation oder Minderung der Deflation, was die EZB bei ihrem gegebenem Inflationsziel von 2% zwingen wird, höhere Zinsen am kurzen Ende zu verlangen, als es sonst der Fall wäre. Beides dämpft das Wachstum in Deutschland im Vergleich zu einer anderen Politik mit einer weniger großzügigen Interpretation der Sicherheitsstandards für Refinanzierungskredite und folglich höheren Zinsen im Süden.
Das Problem bei der EZB-Politik ist, dass sie das deutsche Sparkapital, das eigentlich nicht mehr in den Süden will, mit dem Geleitschutz des deutschen Steuerzahlers doch wieder dorthin leitet, bislang schon 619 Mrd. Euro. Sie tut dies, indem sie auf die Risikoprämien im Zins verzichtet, die die Märkte verlangen, und insofern den nationalen Notenbanken und den dahinter stehenden Staaten Risiken auferlegt, die nicht kompensiert werden. Dadurch senkt sie den Effektivzins im Sinne der mathematischen Zinserwartung (Zins minus Konkurswahrscheinlichkeit) in den unsicheren Ländern des Südens unter den Effektivzins des Nordens (EEAG-Bericht 2012, Kap. 2). Die ungleichen Effektivzinsen führen zu einer Fehlallokation des Kapitals und entsprechenden Wohlfahrtsverlusten im Sinne einer Wachstumseinbuße für den gesamten Euroraum, weil im Süden Projekte mit einem kleineren Grenzprodukt finanziert werden als jene, die man statt dessen im Norden unterlässt.
Im US-amerikanischen System wäre das nicht möglich gewesen. Dort sind die Target-Salden, also die Überziehungskredite zwischen den Distrikt-Notenbanken, in der Krise relativ zum BIP auf maximal 3% gestiegen und wurden durch Tilgung auf dem Wege der Übertragung sicherer Wertpapiere im April eines jeden Jahres immer wieder reduziert, bis auf 0,1% oder 21 Mrd. US-Dollar in diesem April. In Europa, wo man für seine Importüberhänge hingegen unbegrenzt anschreiben lassen kann und nur 1% Zins für die Target-Salden zahlt, sind diese Salden geradezu explodiert und betragen am aktuellen Rand (März 2012) 9,8% des BIP oder 925 Mrd. Euro. Müsste man in Europa wie in den USA die Target-Salden tilgen, wären die Zinsen im Süden höher. Deshalb würde einerseits mehr privates Kapital fließen. Andererseits wären die Sparanstrengungen größer, und entsprechend schneller würden sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte verringern. Die Bundesbank würde dann von den anderen Notenbanken für 600 Mrd. Euro sichere Wertpapiere erhalten, was sie in die Lage versetzten würde, den Banken und den Sparern, die dahinter stehen, die bei ihr angelegten Gelder bei Bedarf auch einmal wieder zurückzuzahlen. Meines Erachtens kann man die Rückzahlung nicht auf einen Schlag verlangen, aber die Zuwächse sollten ähnlich wie in den USA begrenzt werden und perspektivisch sollte man von den Salden wieder herunterkommen, ohne dass man dazu einen anderen kollektiven Geleitschutz für das Kapital in Form von Eurobonds oder ähnlichem erzeugen muss.
Mit freundlichem Gruß
Ihr
Hans-Werner Sinn"