Hallo ExxE,
ich habe den genannten Diskussionsbeitrag auf den Seiten der Wissensmanufaktur gehört / gesehen. Danke für deinen Beitrag hier im Forum. Ich möchte auf diesen gerne antworten. Die Argumentationsstruktur habe ich wie folgt verstanden:
Ist-Analyse:
Das Zinseszins-System steht kurz vor dem Zusammenbruch, da exponentiell anwachsende Zinsforderungen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu bedienen sind. Alle aktuellen „alternativlosen“ Aktivitäten dienen lediglich dazu, diesen Zusammenbruch hinauszuzögern, wobei der Gesetzesbruch als Mittel der Politik (siehe z. B. Bailout-Verbot) erst der Anfang ist. Es besteht die Gefahr, dass diese Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung, die diese Zinsforderungen ja durch Arbeit letztendlich bedienen muss, immer repressiver werden. Die „Kuh“ wird eben gemolken bis sie nichts mehr her gibt. (Über die Option, die „Kuh“ danach ins Schlachthaus zu schicken, wird derzeit auch schon nachgedacht.) Aus diesen vorgenannten Gründen heraus erscheint auch die Idee, eine neue Partei gründen zu wollen, eher sinnlos zu sein. Eine Parteigründung „zaubert“ ja diese Zwänge der Gegenwart nicht einfach weg. Alternative Zielvorstellungen sind daher wichtiger.
Zielvorstellungen:
Erstens: „Stichwort fließendes Geld“.
Der Punkt wurde nicht näher ausgeführt, ich vermute aber, es handelt sich um Geld mit einer Umlaufsicherung, sodass Geldhortung erschwert bzw. verhindert werden soll.
Zweitens: „Stichwort soziales Bodenrecht“.
Auch dies wird nur kurz ausgeführt. Hier handelt es sich um Ausgleichszahlungen an Menschen die keinen Boden haben, für Grund und Boden, welcher der Allgemeinheit entzogen wird.
Drittens: „Stichwort Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)“.
Diese recht zentrale Idee ist ja von Götz Werner schon ausführlich dargestellt worden. Die Idee ist, jedem Menschen in dieser Republik eine Grundversorgung zukommen zu lassen, ohne jede Bürokratie und ohne Vorschriften zu machen, wann, wo und wie man ein solches Grundeinkommen erhält. Das BGE umfasst nicht nur die arbeitende Bevölkerung, sondern auch Kinder und Alte. Im Gegenzug kann man sich die gesamte Sozialgesetzgebung (SGB I bis X), sowie die dazu gehörige Bürokratie (Arbeitsagenturen, Behörden aller Art, ärztliche und psychologische Gutachter, Sozialgerichte und andere Repressionsapparate weitgehend sparen). Das staatliche System würde sich dadurch wesentlich vereinfachen lassen. Ausgaben für diese Teile der Bürokratie übersteigen die Kosten für das BGE jetzt schon.
Im Vortrag wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das BGE nur funktionieren kann, wenn die Zielvorstellungen von Punkt 1 und 2 erfüllt sind. Also ohne soziales Bodenrecht und Geld mit Umlaufsicherung wird das BGE nicht den Zweck erfüllen, den es soll. Also müssten doch erst einmal Punkt 1 und 2 erfüllt sein, ehe man Punkt 3 angeht?
Viertens: „Stichwort Pressefreiheit“.
Hier werden Eingriffe ins Eigentumsrecht gefordert, um eine Konzentration der Presse, wie wir sie heute vorfinden, zukünftig zu verhindern.
Es ist klar, wenn auch nicht ausgeführt, dass die „Vier Säulen“ voneinander abhängen. Ein Geld mit Umlaufsicherung ist notwendig um Hortung von Vermögen zu verhindern. Ein soziales Bodenrecht ist nötig um eine „entschädigungslose“ Privatisierung von Allgemeingut zu verhindern. So geht bei Privatisierungen öffentlicher Güter (Bahn, Post, Telekommunikation, etc.) regelmäßig das Geld an der Bevölkerung vorbei, wird vom großen Kapital gegeben an den Staat, der es wiederum zur Bedienung von Zinsen ausgibt, etc... bis es wieder bei jenen landet, die damit Allgemeingüter gekauft haben. Nur eben der „Mittelstand“ und die abhängig Beschäftigten sind in diesem Kreislauf außen vor. Das BGE wiederum kann dauerhaft nur funktionieren, wenn es kein exponentielles Zinseszins-System gibt, das eben die Erträge der Allgemeinheit periodisch durch seine Forderungen bis auf Null reduziert. Pressefreiheit zur Meinungsbildung kann wiederum nur auf der Grundlage entstehen, dass die Presse nicht durch „Horter“ aufgekauft werden kann. Sie kann daher nur frei sein, wenn die Punkte 1 und 2 realisiert sind, die ja das Horten verhindern sollen. Die 4 Säulen bedingen einander.
Der Weg:
Richtig wird im Vortrag realisiert, dass der Ist-Zustand unerträglich ist und das Ziel weit entfernt. Also gilt es wie immer: Der Weg ist das Ziel ;-) .
Als „Etappenziele“ wurden eine öffentliche Zentralbank gefordert, die nicht im privaten Besitz ist. Daran anhängig natürlich sollte eine solche öffentliche ZB geschaffen werden. Weiterhin wird eine Staatsentschuldung gefordert, die aber wie gesagt eine solche öffentliche ZB ja voraussetzt. Denn Staatsentschuldung bedeutet „haircut“, also Forderungsverzicht aus der Sicht der „Horter“. Das wiederum bedeutet aber nicht nur Ausbuchung der Schulden, sondern auch der Forderungen. Letztlich aber bedeutet es die Reduktion der umlauffähigen Geldmenge, denn Geld ist in unserem System immer Schuldgeld, also Zahlungs- oder Leistungsforderung.
Daher ist eine weitere Etappe die Umwandlung von Staatsanleihen in Bankguthaben, damit der Sparer nicht gänzlich enteignet wird und der Staat von einem Schuldgeldsystem auf eine Art „Vollgeldsystem“ umsteigen kann. Zudem hätte ein solches Vorgehen den Vorteil, dass der „kleine Sparer“ bei der Staatsentschuldung geschont, der Horter hingegen voll zur Kasse gebeten wird.
Ich war und bin mir nicht so sicher, ob dies nun Etappenziele sind, oder ob es nicht Elemente der vier Säulen sind, die als „Details“ der vier Säulen anzusehen sind, also eigentlich in das Kapitel Zielsetzung gehört....
Der Weg dahin soll laut Vortrag sein:
Volkslobby, Einbringung von Gesetzen in den Bundestag, wobei dem Redner schon klar ist, dass dies im Wesentlichen abgeschmettert werden wird. Aber er hofft natürlich, dass es eine „Wirkung“ nach außen hat, wo dieses „Hohe Haus“ wirklich steht...
Ausarbeitung einer Verfassung gemäß Artikel 146 GG
Recht und Pflicht zum Widerstand, wenn alle diese Initiativen nicht wirken. Dieser Widerstand soll passiv sein. Darunter zu verstehen soll sein: Steuerboykott, Abzug von Gelder von 5% der Bundesbürger aus dem dem Bankensystem um die Zusammenarbeit zu kündigen, Tauschringe und Regionalwährungen, sowie weitere geordnete Strukturen außerhalb des Systems, um den bevorstehenden Crash besser zu überstehen.
So weit, so gut. Was ich an den Ausführungen der Wissensmanufaktur wirklich große Klasse finde ist, dass solche Diskussionen über Ist-Zustand, Zielvorstellung und Weg zum Ziel unbedingt sein müssen. Alles Andere wäre Larmoyanz. Herum zu jammern bringt ja kein Stück weiter! Wir brauchen alle das Positive, mit dem man sich identifizieren kann, um sich zusammen zu tun, und da wünsche ich der Wissensmanufaktur wirklich alles Glück der Welt, dass dies klappen kann. Ich finde es auch gut, dass Personen wie Schachtschneider, Popp, Berger, Senf, Hankel und Co. sich da trotz aller Differenzen (aufgrund ihres Herkommens) zusammentun um eine gemeinsame Plattform für ihr Wirken aufzubauen. Dies alles ist dringend nötig. Verständigung untereinander ist Trumpf, es bringt nichts, wenn alle einfach so weiter wurschteln wie bisher.
Andererseits sehe ich viele Elemente, die man genauer diskutieren müsste. Insgesamt halte ich zwar die Analyse für richtig, dass horten und ein Zins- und Zinseszins-System das eigentliche Problem der aktuellen Situation ist. Aber in den Zielsetzungen und auch in der Umsetzung der Ziele sehe ich noch viele Unklarheiten.
Systeme haben die „dumme“ Angewohnheit, dass sie in sich geschlossen sind und es so unendlich schwer ist, aus ihnen heraus zu kommen. Andererseits ist der Weg zu einem neuen „System“, wie es in den vier Säulen angedeutet ist, dadurch gekennzeichnet, dass es eben nicht richtig etabliert ist, wenn nur Teile davon verwirklicht sind. Das neue System stellt eben auch eine „Ganzheit“ dar.
Es ist gut, Ziele zu haben, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass diese Ziele durch die Realität sehr stark modifiziert werden könnten, um sie zu verwirklichen. Entscheidend ist der Weg der Transformation, um zum Ziel zu kommen. (Ich hoffe, ich drücke mich hier nicht zu kompliziert aus...)
Am wertvollsten scheint mir zu sein, an den letzten Punkten zu arbeiten. (Steuerboykott, Tauschringe, Regionalgeld, Netzwerke aller Art, nichtstaatliche Strukturen aufbauen, direkte Demokratie, Gesetzesinitiativen, etc.) Man muss sich aber dabei immer eines klar machen. So friedlich man sich den Widerstand auch wünscht, es wird nicht ohne Prügel durch den Staat abgehen. Das zeigt schon die Geschichte von Gandhi, oder auch von Jesus... daher verwende ich bewusst den Ausdruck „Transformation“, denn gelebter Schmerz – wie auch immer er kommt - ist unvermeidlich und Teil dieser Transformation.
Meint
fortunato
P. S.: Für Fragen und Anregungen stehe ich gerne zur Verfügung.
Zusatz:
Ich möchte noch abschließend ein (zugegebenermaßen hinkendes) Beispiel für das Thema BGE geben, da du ja nachfragtest, ob die am Ende nicht alle faul sein würden, wenn sie das Geld „einfach so“ bekämen. Bitte das Beispiel nicht als „Militarismus“ verstehen... sondern als Beispiel dafür, dass auch Menschen, die ein fast bedingungsloses Einkommen bekamen, großes vollbringen konnten. Dies ist das Beispiel Spartas:
Sparta hatte ursprünglich ebenfalls ein auf Eigentum aufbauendes Gesellschaftssystem. Es gab ebenfalls in früher Zeit große Unterschiede zwischen Reich und Arm und es finden sich in den antiken Schriften viele Hinweise darauf, dass es die einfachen Spartaner unerträglich fanden, wie sich die Schicht der Reichen und Adligen unter ihnen aufführte (sind solche Parallelen Zufall?)
In der Geschichte Spartas gab es einen mythischen Gesetzgeber, Lykurgos genannt, der diesem Treiben des Adels und der reichen Händler ein Ende machte. Er schrieb eine neue Verfassung, die die Königsmacht brach. Von nun an gab es immer 2 Könige, die auch nur zeitlich begrenzt amtierten. Diese waren im Wesentlichen oberste Militärbefehlshaber. Sie wurden kontrolliert von der Versammlung der Vollbürger und vom Rat der Ältesten. Alle Bürger waren vor dem Gesetz gleich. Jeder hatte ein gleiches Stimmrecht. Geld wurde weitestgehend abgeschafft. Um zu verhindern dass das restliche Geld ins Ausland transferiert werden konnte, wurde es so groß gemacht, dass es physisch unmöglich war, es zu schmuggeln.
Jeder Vollbürger erhielt mit seiner Familie ein Landlos zugeteilt. Und durch die Summe dieser Maßnahmen erhielt jeder Spartaner ein „fast bedingungsloses Einkommen“, und zwar lebenslang. Dafür musste er eben nur eine Bedingung erfüllen: Nachdem er die sehr harte militärische Ausbildung durchlaufen hatte, musste er immer Waffen tragen und kämpfen können. Diese Forderung wurde durch ständige militärische Übung sicher gestellt. Dies war die einzige wirkliche Bedingung. Um sein Einkommen musste er sich nicht kümmern.
Das System hatte natürlich eine große Macke, die es von der Idee des BGE sehr unterscheidet. Die Spartaner versklavten für ihr „BGE“ die Nachbarvölker und zwangen sie zur Feldarbeit(Heloten), bzw. zu handwerklicher Tätigkeit (Periöken). Aber andererseits kann man wirklich nicht sagen, sie wären untätig geblieben oder hätten einfach faul ihre Erträge verfuttert. 300 spartanische Elitesoldaten unter dem König Leonidas hielten eine persische Armee von mehr als 100 000 Soldaten an den Thermopylen auf. Die Spartaner sind damit die Mitbegründer Europas, und auch ihre größten Streiter gewesen! Ohne sie gäbe es uns heute nicht.
Nachfolgend bedrohte Athen durch seine wirtschaftliche Stärke die Freiheit vieler griechischer Stämme, auch die der Spartaner. Diese überrannten in einem vierzigjährigen „Peloponnesischen Krieg“ Athen, waren aber aufgrund ihrer kleinen Zahl (es gab nie mehr als ca. 20 000 Spartaner) nicht in der Lage diesen Sieg zu nutzen und gingen daran zugrunde.
Man kann den Spartanern vorwerfen, dass sie ein nicht nachahmungswürdiges Finanzierungsmodell ihres „BGE“ hatten, aber den Nachweis, dass ein BGE nicht unbedingt faul macht, den haben sie ganz klar erbracht, denn „herumgesessen“ sind die nicht!